Dietrich Stobbe: Berlin zu dienen, war Ziel meines Handelns
Gemäß Artikel 41 Abs. 4 der Verfassung von Berlin erkläre ich hiermit meinen Rücktritt. Gleichzeitig stellen alle übrigen Mitglieder des Senats ihre Ämter zur Verfügung.
Ich habe mit meinem Vorschlag für die Senatsumbildung, den ich mit den Koalitionsfraktionen in aller Sorgfalt abgestimmt hatte, im Abgeordnetenhaus von Berlin keine Mehrheit gefunden. Ich ziehe daraus die politische Konsequenz meines Rücktritts.
Ich habe unserer Stadt – damit meine ich unsere ganze Stadt Berlin – und ich habe den Koalitionsfraktionen, den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten, mit diesem Vorschlag dienen wollen.
Den Berlinern möchte ich sagen, dass ich mit allen Kräften versucht habe, einen Weg aus der gegenwärtigen Krise heraus zu finden, damit die Stadt einen handlungsfähigen Senat hat. Dies ist mir nicht gelungen, deshalb muss ein anderer die Bürde dieses Amtes tragen. Berlin zu dienen war in jedem Zeitpunkt meiner Amtszeit Ziel meines Handelns und wird es auch bleiben, wenn ich nicht mehr das Amt des Regierenden Bürgermeisters wahrnehme. Ich liebe unsere Stadt.
Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 15. Januar 1981
Peter Glotz: Kampagne in Deutschland. Der 15. Januar 1981
Stobbe auf schäbige Art gestürzt; von der FDP, aber – was schlimmer ist – nicht ganz ohne Mithilfe aus den eigenen Reihen. Die dunklen Ahnungen, die ihn monatelang an der längst notwendigen Senatsumbildung gehindert hatten, sind Wahrheit geworden. „Ein paar werden sich rächen“. Die Bürgermeister sind in Berlin, Hamburg und Bremen zu schwach; das Prinzip, dass jeder einzelne Senator extra im Parlament gewählt werden muss, macht jeden Personalwechsel zur Tragikomödie.
Stobbe hält eine kurze Rede, bei der er seine Verzweiflung sympathisch hinter Entschlossenheit verbirgt. Nur im letzten Satz bricht Gefühl durch: „Ich liebe diese Stadt“.
aus: Glotz, Peter: Kampagne in Deutschland, Politisches Tagebuch 1981-1983, Hamburg 1983
Jochen Vogel: Nachsichten. Der Fall Garski und die Folgen
Aus heutiger Sicht war der Vorgang keineswegs dramatisch. In der damaligen Berliner Situation wurde er jedoch als symptomatisch empfunden. Im Zusammenhang mit diesen Skandalvorwürfen, die sich wenig später als erheblich überzogen herausstellten, scheiterte am 15. Januar 1981 der vorher eingeleitete Versuch Dietrich Stobbes, sich durch eine Senatsumbildung Luft zu verschaffen. Das machte die Krise manifest. Alle von Stobbe vorgeschlagenen sozialdemokratischen Senatskandidaten - sie bedurften nach der Berliner Verfassung in Einzelwahlen einer Mehrheit - erhielten an diesem Tage im Abgeordnetenhaus mehr Nein- als Ja-Stimmen
aus: Vogel, Jochen: Nachsichten – meine Bonner und Berliner Jahre, München 1996
Reinhard Appel: Die Regierenden von Berlin
Rückwirkend die fast vierjährige Amtszeit des Regierenden Bürgermeisters Dietrich Stobbe aus der Erinnerung, durch Interviews und nach vorliegenden Quellen zu beschreiben, kommt der Schilderung einer Tragikomödie gleich. Mit neununddreißig Jahren einer der jüngsten Regierungschefs in Deutschland, begann er strahlend als politischer Senkrechtstarter (wie Kennedy in den USA), erweckte im geteilten Berlin entsprechende Hoffnungen – und endete schließlich, von Heckenschützen aus der eigenen Partei verraten, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit des Schöneberger Rathauses wenig glücklich. Die Chronik der Stobbe-Jahre ist geprägt sowohl von realistischen innen- und außenpolitischen Politik-Entwürfen als auch von Intrigenspielen einer kleinkarierten, verfilzten Parteimafia (…) Der Massierung von Mittelmaß und Provinzialismus in der Berliner SPD war Dietrich Stobbe tatsächlich nicht gewachsen.
aus: Appel, Reinhard: Die Regierenden von Berlin seit 1945, Berlin 1996