24./25.12.2009 (Berliner Zeitung): WAS MACHT…Dietrich Stobbe

Gelassen und zufrieden liest Dietrich Stobbe, wie er in der soeben erschienenen Geschichte West-Berlins "Die Insel" beschrieben ist. Als strahlenden Politiker mit "perspektivischen Qualitäten", der vor 32 Jahren einen frischen Stil in die Stadt brachte, stellt der Autor Wilfried Rott ihn dar.

Der 71 Jahre alte Stobbe sitzt in seiner großzügigen, eleganten, mit exquisiten Grafiken vollgehängten Wohnung nahe dem Gendarmenmarkt und findet durchaus zutreffend, wie seine kurzzeitige Rolle als West-Berliner Stadtoberhaupt zeitgeschichtlich bewertet wird. Von 1977 bis 1981war er Regierender Bürgermeister. Er galt damals als Zukunftshoffnung, wurde aber von seiner eigenen Partei, der in wüste Flügelkämpfe verwickelten SPD, nicht mehr gestützt und trat zurück. Mit seinem Vorgänger Klaus Schütz trifft er sich noch häufig, zu seinem Nachfolger Hans-Jochen Vogel hält er Kontakt, ebenso zu Weggefährten wie der Politik-Professorin und zweimaligen Bundespräsidentschafts-Kandidatin Gesine Schwan, dem ehemaligen Berliner Innen- und Bausenator Peter Ulrich oder dem früheren Bundestagsabgeordneten und Kieler Oberbürgermeister Norbert Gansel. Manchmal ruft auch Klaus Wowereit, der im vorigen Jahr diese fünf und andere Freunde zu Stobbes 70. Geburtstag eingeladen hatte, bei ihm an und fragt um fachlichen Rat.

Zweiundzwanzig Jahre lang hatte Stobbe politische Mandate für Berlin im Abgeordnetenhaus, im Senat und im Bundestag, zwischendurch war er eine Zeit lang Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York. Weil er 1990 Mitglied im Ausschuss Deutsche Einheit war, durfte er neulich am 9. November auf der Ehrentribüne am Brandenburger Tor die Mauerfall-Feier miterleben, die er "beglückend fand, weil sie nicht als isoliertes nationales Ereignis zelebriert wurde, sondern europäisch geprägt war", wie er im Gespräch sagt. Nach seiner Politikerzeit wurde er Partner einer Consultingfirma, die später seinen Namen trug, und aus der er Ende 2006 austrat. Ab und zu ist er noch beratend tätig, wenn er darum gebeten wird, hauptsächlich auf seinem Spezialgebiet an der Schnittstelle zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft.

Vor einem Jahr ist Dietrich Stobbe mit seiner Frau Iwona, einer aus Szczecin (Stettin) stammenden Germanistin, aus einem idyllischen Einfamilienhaus am Stadtrand in Hermsdorf, wo er seit 1976 gelebt hatte, in die pulsierende Berliner Mitte umgezogen, um Museen, Theatern und Konzertsälen näher zu sein. Er gehört zu den Freunden des Deutschen Historischen Museums und der Berlinischen Galerie sowie zu den Freunden der Berliner Philharmoniker und engagiert sich für soziale Projekte wie das Deutsche Institut für Community Organizing, einer nach US-Vorbild aufgebauten Bürgerplattform.

Einer seiner beiden Söhne und drei Enkel leben in Zehlendorf. Mit ausgedehnten Stadtspaziergängen und auf dem Laufband hält sich Dietrich Stobbe fit. Er hat zwei Operationen wegen eines Glioms, eines Hirntumors, glücklich überstanden. Aber das Vorhaben des Ehepaars Stobbe, drei Monate in Paris zu verbringen, musste erstmal aufgeschoben werden. Neulich haben sie eine fünfwöchige Rundreise durch Polen, auch an seinen Geburtsort im südlichen Ostpreußen, unternommen. Und immerhin: Weihnachten und Neujahr verbringen sie nun in Marrakesch.

Helmut Lölhöffel