Dankesrede: Einladung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, zu einem Mittagessen am 17. April 2008 aus Anlass des 70. Geburtstages von Dietrich Stobbe

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, lieber Klaus Wowereit,

Sehr geehrter Herr Präsident des Abgeordnetenhauses, lieber Walter Momper,

verehrte Anwesende, liebe Freunde,

ich möchte mich sehr herzlich für die Einladung bedanken und dafür, dass Sie ihr gefolgt sind.

[Als der Termin verabredet wurde, gab es bei mir noch keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung. Ich habe Dich, lieber Klaus, dann wenige Tage nach meiner Operation angerufen und um die Aufrechterhaltung der Einladung gebeten. Ich habe dazu die Kraft verspürt, ganz einfach deshalb, weil ich mich auf das Zusammensein mit Ihnen allen gefreut habe.]

Vielen Dank auch für die Worte, die Du, lieber Klaus, zu meinem Wirken gefunden hast und für Deine Glück- und Genesungswünsche. Ich kann sie brauchen.

Meine Frau Iwona hat sich vor einiger Zeit mit meinem ältesten Enkel – er ist 7 – über das Alter unterhalten und ihn gefragt: Felix, was glaubst Du, wie alt ist der Opa Dietrich? Langes Nachdenken. Das ernsthafte Gesicht in beide Hände gestützt. Dann die Antwort: 96! Ja, das Alter ist eben von der Warte abhängig, von der aus es betrachtet wird.

Für mich haben sich durch meine Erkrankung die Skalen auf der Zeitachse meines Lebens möglicherweise verschoben. Aber ich bin umgeben von einer wunderbaren Familie, von vielen guten Freunden und lebe inmitten vieler positiver Perspektiven für unser Land und unsere Stadt. Das hilft, erfreut und macht den Lebenskampf leichter.

I. Wenn ich z.B. durch das politische Zentrum des Berlins von heute gehe, freue ich mich über das Band des Bundes, über das Gegenüber und das Aufeinanderbezogensein von Exekutive und Legislative. Diese wechselseitige Beziehung zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Amt des Bundeskanzlers ist aus meiner Sicht ein gelungenes Beispiel dafür, dass die deutsche Demokratie als Bauherr die Kernelemente unserer Verfassung sinnvoll, plastisch und für den Bürger erfahrbar durch Architektur zum Ausdruck gebracht hat.

Das Grundgesetz ist das Beste, was wir haben. Als ich 1958 nach Berlin kam, hatte ich an der Deutschen Hochschule für Politik und später am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität herausragende Professoren. Viele von Ihnen waren aus der Emigration zurückgekehrt. Sie hatten das Scheitern der Weimarer Republik miterlebt und wurden nun zu großartigen Lehrern der politischen Willensbildungsprozesse in funktionierenden Demokratien. Dazu gehört eine pluralistische Gesellschaft, aber genauso große und starke Volksparteien, die in der Lage sind, durch ihre Programme und ihr Handeln Kräfte zu bündeln.

Ich wünsche mir, dass die schmerzlichen Erkenntnisse, die uns Deutsche zum Grundgesetz führten, in der heutigen Bundesrepublik genauso intensiv wie damals vermittelt werden, damit sie ihre Bindungswirkung weiter entfalten können.

II. Wenn ich durch Mitte und die wieder erwachende Berliner Altstadt gehe, freue ich mich ebenfalls über viele positive Perspektiven. Dazu gehört das großartige Projekt der Museumsinsel. Es erfüllt mich auch noch immer mit tiefer Freude, ja mit Stolz, wenn ich durch das nun wieder offene Brandenburger Tor gehe.

Aber etwas anders sind meine Gefühle denn doch, wenn ich am Schlossplatz stehe. Das Schloss haben die Kommunisten gesprengt. Die deutsche Geschichte haben sie damit nicht aufgearbeitet und auch kein Stück vorangebracht; denn die Bürger im SED-Staat hatten am Ende weniger Freiheit als sie die Menschen dem preußischen Obrigkeitsstaat bereits Jahrzehnte zuvor abgerungen hatten.

Ich schließe mich durchaus der Auffassung an, dass dort, an dem zentralen Ort der Berliner Altstadt, ein neuer Bau in der Kubatur dieses Schlosses errichtet wird. Dadurch werden die städtebaulichen Achsen des historischen Berlin wieder in ihr Lot gebracht, und das ist sinnvoll. Ich bin auch ganz damit einverstanden, dass dort u.a. die Sammlungen Alexander von Humboldts gezeigt werden. Er wies schon damals deutlich über Preußen hinaus, indem er den Menschen das Wissen über die Völker der Welt nahe brachte. Aber reicht eine Ausstellung solcher Exponate an diesem Platz wirklich aus?

In letzter Zeit habe ich wieder viel über Ernst Reuter nachgedacht. „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt …“, so wird er ja meist zitiert. Aber das Zitat wird häufig verkürzt. Denn er fuhr ja fort „… und erkennt …“. Reuter wollte, dass die Völker der Welt etwas erkennen. Das nahezu Unglaubliche an dieser Rede war, dass er so kurze Zeit nach Ende der Naziherrschaft die Völker der Welt um die Erkenntnis bat, dass in Berlin die Freiheit bedroht und deshalb Hilfe gebraucht wurde. Auch und gerade von jenen Völkern, die durch den von Berlin ausgegangenen Krieg mit Vernichtung und Zerstörung überzogen worden waren.

Einige Dekaden später haben wir miterleben dürfen, dass wir Deutschen am Ende von den Völkern der Welt nicht in alle Ewigkeit verdammt wurden. Wir wurden wieder aufgenommen in den Kreis der Nationen, können unseren Weg in Einheit, Freiheit und Selbstbestimmung gehen. Das war und ist ein großes Geschenk, das uns Deutsche hohe Verantwortung auferlegt. Deshalb frage ich mich am Schlossplatz, ob es inhaltlich ausreichend ist, hier zu veranschaulichen, dass der weltbürgerliche und liberale Teil Preußens für die Kultur und die Lebensweise anderer Völker offen war. Ist das wirklich genug angesichts unserer Geschichte? Müsste das demokratische Deutschland nicht gerade dort verdeutlichen, dass es auch selbst bereit und in der Lage ist zu erkennen, wenn Freiheit und Selbstbestimmung anderer Völker bedroht werden?

In unserer Gesellschaft engagieren sich z.B. Tausende von Menschen in Nicht-Regierungsorganisationen, die in vielen Krisen- und Konfliktregionen der Welt freiwillig und selbstlos helfen. Könnte der Schlossplatz nicht auch zu einer Heimstatt für solche Organisationen werden und damit zeigen, dass das demokratische Deutschland bereit ist, sich in unserer bedrohten Welt zu engagieren? Könnte dies nicht auch ein Ort sein, an dem sich z.B. die deutsche Krisen- und Konfliktforschung konzentriert?

Käme es zu einer solchen inhaltlichen Ausweitung des Konzeptes für das Humboldt-Forum, dann kann ich mir einen Neubau am Schlossplatz zwar sehr gut in der Kubatur des Schlosses, aber nur schwer als bloßes architektonisches Zitat vorstellen. Hier müsste meiner Meinung nach die deutsche Demokratie als Bauherr – so wie beim Band des Bundes – nach einem eigenen Ausdruck der Moderne unter Beachtung der Geschichte suchen. Die Berliner Altstadt mit ihrem preußischen Erbe wäre dann immer noch städtebaulich ins Lot gebracht, aber eine zeitgemäße Architektur könnte verdeutlichen, dass wir Preußen keineswegs nur historisierend betrachten. Ein solches Zusammenspiel von Form und Inhalt würde die Verantwortung der Bürger in unserer offenen Demokratie für die bedrohte Welt veranschaulichen können und damit eben zum Ausdruck bringen, dass Deutschland das preußische Obrigkeitsdenken, das im Schloss schließlich zu Hause war, wirklich überwunden hat.

III. Zu meinen positiven Perspektiven gehört die Überzeugung, dass unsere Historiker die politische Funktion und die Rolle, die Berlin (West) für die Offenhaltung der deutschen Frage gespielt hat, richtig deuten und verorten werden. Aber ich bin heute manchmal mehr als erstaunt über die Ignoranz und die Überheblichkeit, die in Medien gelegentlich über den damaligen freien Teil der Stadt zum Ausdruck gebracht werden. Ich meine damit jenen historischen Schwachsinn über die Idylle an der Mauer und über die subventionsgierigen Westberliner. Jeder, der damals politische Verantwortung trug und erst recht alle Menschen, die hier lebten, waren sich doch der Tatsache bewusst, dass der freie Teil der Stadt im Konfliktfall keine 6 Monate ohne Schutz und Hilfe hätte überleben können.

Ja, Berlin (West) war ein Gemeinwesen in geopolitisch und strategisch nahezu aussichtsloser Lage. Aber die Menschen hier hatten oft genug gezeigt, dass sie an eine Vision und an eine Mission glaubten. „Wir sind hier, weil wir hier sein wollen. Und indem wir hier sind, leisten wir jenen Beitrag, der die deutsche Frage offen hält.“ So hatte ich dieses Lebensgefühl der Berliner 1977 vor dem Abgeordnetenhaus zusammengefasst, so wie vor und nach mir andere, die in der Verantwortung standen.

 

Viele von uns, die wir heute hier versammelt sind, haben ihren eigenen Beitrag dazu geleistet, dieses so schwierige, weltgeschichtlich so ganz einzigartig verfasste Gemeinwesen irgendwie über die Runden und seinem Ziel näher zu bringen. Durchaus mit Erfolg, wie sich gezeigt hat. Für mich jedenfalls war und bleibt es eine Ehre, diesem Berlin gedient zu haben.

IV. Sehr geehrter Herr von Weizsäcker, Herr Bundespräsident, ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind.

Lieber Klaus Schütz, lieber Egon Bahr, Ihr habt Euch für die Freiheit der Berliner schon eingesetzt, als in der Stadt noch die Trümmer rauchten. Von Euch habe ich unendlich viel gelernt, ich danke Euch dafür und bekunde Euch meinen tief empfundenen Respekt.

Ich grüße alle ehemaligen Kollegen aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin, darunter insbesondere Dich, lieber Franz Ehrke. Ich grüße meine ehemaligen Senatskollegen sowie die ehemaligen Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und Bundesrat.

Den Jüngeren, die jetzt in der politischen Verantwortung stehen, wünsche ich auch weiterhin Kraft und eine ruhige Hand für die Führung und Lenkung unserer Stadt. Das möchte ich insbesondere Dir sagen, lieber Klaus Wowereit. Und ich möchte ausdrücklich hinzufügen, dass die Stadt aus meiner Sicht in den zurückliegenden Jahren ein erhebliches Stück vorangekommen ist. Das sollte Mut geben, auch für die Zukunft.