Dietrich Stobbe, Regierungserklärung, 26. Mai 1977: Berlin-Politik  

Der Senat ist der Überzeugung, dass die beiden Grundvoraussetzungen unserer Existenz – Sicherheit durch die Drei Mächte und Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland – am besten gewahrt werden mit einer Politik, die auf Friedenssicherung, Abbau der Spannungen, auf Kooperation und nicht auf Konfrontation ausgerichtet ist. Die Politik des Senats wird sich daher auch in Zukunft einfügen in die von der Bundesregierung betriebene Deutschland- und Ostpolitik. Der Senat ist sicher, dass die Stimme Berlins gehört und geachtet wird auch dort, wo die Dinge selbst eine Diskussion auf dem offenen Markt möglicherweise nicht gestatten. Jede Regelung, die im Wege fairen Interessenausgleichs zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR zustande kommt und die Berlin einschließt, hilft den Menschen in beiden Teilen Deutschlands mehr als die Ständige Wiederholung offensichtlich unerfüllbarer Forderungen. (…)

Die Berlin-Politik dieses Senats wird nüchtern sein, sie wird sich an den realen Möglichkeiten orientieren unter Beachtung der rechtlichen und politischen Grundlagen, auf denen wir stehen. Wer daraus einen Vorwurf konstruiert, muss dartun, dass er außer großen Worten etwas anderes anzubieten hat. Wer ausschlägt, was jetzt machbar ist, bringt die Menschen in dieser geteilten Stadt und in diesem geteilten Land um ein Stück besserer Gegenwart und betrügt sie um ein gutes Stück Hoffnung für die Zukunft.

Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 26. Mai 1977

 

Dietrich Stobbe, Innerdeutsche Verkehrsverhandlungen: Autobahn Berlin-Hamburg

Der heutige Abschluss der Verhandlungen zwischen den Bundesregierung und der Regierung der DDR hat für Berlin die Erfüllung von Wünschen gebracht, an die vor einem Jahrzehnt selbst Optimisten nicht glauben mochten. (…) Der Senat sieht diesen Erfolg in der konsequenten Fortsetzung einer Politik in Bonn und Berlin, die darauf gerichtet ist, durch sachliche Zusammenarbeit mit der DDR Schritt für Schritt zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen in unserem Land zu gelangen. Im Einzelnen bewerte ich die Ergebnisse wie folgt:

Erstens: Die für Berlin lebenswichtigen Verkehrsverbindungen mit Westdeutschland werden nachhaltig gestärkt. Dies bedeutet viel für den Bürger, für die Wirtschaftskraft unserer Stadt und bleibt zugleich nicht ohne Auswirkung auf die psychologische Dimension der Bindungen Berlins an den Bund. Dies ist ein weiterer großer Schritt in dem Ziel, Berlin näher an den Bund heranzurücken. Vor allem die beiden größten deutschen Städte haben die Chance einer intensiveren Kommunikation.

Zweitens: Mit der Langfristigkeit der Wirkungen dieser Vereinbarungen wurde in die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein Element der Verklammerung eingebaut, das – an Berlin ausgerichtet – im Interesse einer realistischen Deutschlandpolitik kommender Jahrzehnte liegt.

Drittens: Es gibt keine Stagnation in der Entspannungspolitik zwischen den beider deutschen Staaten. Das beweisen auch die in Aussicht genommenen Verhandlungen ab 1980, die eine weitere wichtige Aufgabenstellung in den innerdeutschen Dialog einbauen.

Und viertens: Die sorgfältig aufeinander abgestimmten Vereinbarungen und Erklärungen beider Seiten zeigen, dass die Bundesregierung die Rechte der Alliierten voll beachtet hat. Sie zeigen zugleich, dass die DDR mehr als bisher den Bund als Sachwalter Berlins akzeptiert hat. (…)

Ich füge dem hinzu: Wer finanzielle Leitungen der Bundesregierung an die DDR unterschwellig als eine Finanzierung des Herrschaftsapparats der SED abtut, macht sich nicht nur vor den Menschen in der DDR unglaubwürdig, die ja auch von diesen Vereinbarungen profitieren, sondern ist auch unglaubwürdig als Sachwalter Berliner Interessen.

Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 16.11. 1978

 

Dietrich Stobbe, Antrittsrede als Bundesratspräsident: Gleichgewicht der Macht - Voraussetzung für den Frieden und Fortdauer der Teilung

(…) Mitten durch unser Land verläuft die Grenze zwischen zwei Machtsphären und zwei Gesellschaftssystemen. Das ist, soweit erkennbar, bis auf weiteres schmerzhafte Grundbedingung unserer politischen Existenz. Wir halten an dem Ziel fest, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuarbeiten, zu dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit gewinnen kann.

Wir haben jedoch in bitteren Erfahrungen und teilweise wider Willen erkennen müssen, dass das Gleichgewicht der Macht, das auf Europa wirkt, die Voraussetzung ist für den Frieden, den wir wollen, und gleichzeitig die Ursache für die Fortdauer der Teilung, die wir zu überwinden trachten. Das Gleichgewicht der Macht bedeutet, dass keine Seite der anderen ihren Willen politisch wirksam aufzwingen kann. Diese Erkenntnis war die Voraussetzung für eine Reihe von Schritten in den vergangenen Jahren, die eben nicht gegangen wurden, weil sie Lösungen des Grundproblems versprachen, sondern die gegangen wurden, um mit Hilfe von praktischen Regelungen den Zusammenhalt der Menschen in beiden deutschen Staaten zu ermöglichen. Ich glaube, wir müssen uns darauf einrichten, dass für lange Zeit dies der gedankliche Ansatz bleiben wird und bleiben muss für die Politik, die wir für Deutschland machen. (…)

Plenarsitzung des Bundesrates, 10. November 1978

 

Dietrich Stobbe, Regierungserklärung 31. Mai 1979: Die Richtlinien der Regierungspolitik

Neues Vertrauen in die Zukunft und die entschiedene Abkehr von Selbstmitleid – das waren die Leitlinien für die Haltung des Senats, die sich in der Regierungserklärung vom Mai 1977 ausdrückten. Heute ist von dem, was vor gerade zwei Jahren gesagt wurde, nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil: die konsequente Fortführung der Entspannungspolitik und die dadurch mögliche bewusste Hinwendung zur Stadtpolitik bleiben der Grundsatz für die Arbeit des Senats auch in der neuen Legislaturperiode.

Unsere Entspannungspolitik bedeutet die Erkenntnis, dass die Dinge in Berlin und in Deutschland im Interesse der einzelnen Menschen, ihrer Freiheit und letztlich auch der Einheit nur auf friedlichem Wege und nur dann in Bewegung gebracht werden können, wenn wir vom machtpolitischen Status quo ausgehen. Nationale Deklamationen ohne Realtitätsbezug bedeuten nichts anderes als den Verzicht auf eine Politik des jetzt Machbaren. (…)

Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 31. Mai 1979